Heimat am Arbeitsplatz

Auszug aus "Heimat in Raum und Zeit" von Werner Lerch Sen. (1928-2017). Erschienen im Eigenverlag.

Ich war in einer Zeit berufstätig, da mich - unabhängig von der hierarchischen Stellung - weit mehr als finanzielle Interessen mit der Firma verbanden. Man hatte eine tiefgründige Bindung ans Unternehmen und identifizierte sich in weiten Bereichen mit seiner Firma. Das Wort Firmentreue hatte keinen üblen Beigeschmack. Wenn schlecht über die Firma gesprochen wurde, tat es einem weh. Und man war stolz, wenn sie Erfolg hatte. Man hatte oder nahm sich Zeit und schuf Möglichkeiten, firmeninterne Kontakte zu pflegen. Träger waren unter anderen die verschiedenen firmeneigenen Klubs, vom Schachklub über den Sportklub bis zum Trachtenchörli. Und was eine wirkliche Firma einer gewissen Grösse war, hatte auch eine eigene Firmenmusik! Schliesslich spielte der noch nicht freie Samstagmorgen als Putz- und Aufräumtag eine grosse Rolle. Ein Tag, an dem man „auf den Kilometer“ ging und niemand diese „Konferenzen“ zu allen möglichen Themen übelnahm. Selbst im normalen Wochenlauf strengste Chefs gesellten sich am Samstag zu solchen Runden. Wie kam es zum Wechsel in den heutigen weitgehend geldorientierten Zustand? Dazu einige Gedanken aus meiner Tätigkeit als Senior-Unternehmensberater. Ein wichtiger Punkt ist zweifellos die Sicherheit des Arbeitsplatzes. Im wirtschaftlichen Geschehen ist Stellenabbau zu einem billigen Reizwort geworden, der Verlust des Arbeitsplatzes noch viel mehr. Können Arbeitsplätze überhaupt verloren gehen? Wenn die ausgeübte Tätigkeit gesamtwirtschaftlich sinnvoll ist, sicher nicht. Dann wird die Aktivität einfach an einem anderen Ort durch ein anderes Unternehmen weitergeführt. Dass diese Fortführung irgendwo im Ausland viel günstiger sei, hat sich in der Zwischenzeit in den meisten Fällen als Märchen erwiesen. Voraussetzung für erfolgreiches Wirtschaften in der Schweiz ist die Bereitstellung des bei uns genügend vorhandenen „Rohstoffes“ Geld als Basis für Forschung und Investitionen. Ausnahmen sind Stellenabbaus infolge des technischen Fortschrittes, sei es durch einfacher herzustellende Produkte oder rationellere Produktionsverfahren. Das hat nichts mit Wirtschaftskrise zu tun. Es sind Folgen des Fortschritts, und Fortschritt schafft unter dem Strich neue Arbeitsplätze. Ich habe zunehmend den Eindruck, dass wir in unserm Land - ohne es zu merken - den Arbeitsplatz samt Arbeitseinstellung nahtlos in die Anspruchsgesellschaft integriert haben. Man soll froh sein, wenn wir zur Arbeit kommen, und die jährliche Lohnerhöhung ist eine Selbstverständlichkeit. Ebenso die Arbeitslosenentschädigung und andere Leistungen – die zahlt ja der Staat. In diesem Zusammenhang kommen mir immer wieder meine Südamerika-Erfahrungen in den Sinn. Bei einer Verwaltungsratssitzung bei Balteau-Mexiko (Mutterfirma in Belgien) besuchten wir das Werk mitten in Mexico-City. Mir stockte beinahe der Atem: Da arbeiteten reihenweise Mexikanerinnen und Mexikaner mit hoher Intensität ohne je aufzublicken. Dabei sahen sie sehr zufrieden aus und summten zum Teil vor sich hin. Es war keine organisierte Show, denn ich machte viermal unerwartet Kurzbesuche in der Werkstatt. In der Folge schlug ich vor, den belgischen Betriebsrat für eine Besichtigung nach Mexiko zu fliegen, was aus irgendwelchen Gründen nicht geschah! Seit damals weiss ich eines mit Sicherheit: Die Bedrohung unserer Arbeitsplätze kann nicht durch politisch basierte Mauerwerke um die Schweiz gebremst werden. Der Fleiss der Menschen in manchen der sogenannten Entwicklungsländer ist stärker als alle Abwehrmassnahmen. Nur wenn wir selber aus echter Leistungsbereitschaft effizienter werden und bleiben, haben wir eine Chance. Machen einen die vielen fleissigen Menschen in Brasilien, China, Indien usw. nicht nachdenklich und rütteln uns auf? Bei meinem ersten Besuch in Brasilien hatte ich ausführlich Gelegenheit, mir die Sorgen unserer Leute vor Ort anzuhören. Sie hatten grosse Probleme mit den Überkleidern, die sie der Belegschaft aus Sicherheitsgründen abgaben. In der Tat sah man wenige Leute in der Fabrik, die sie auch trugen. Man behielt sie zu Hause und trug sie am Sonntag als eine Art Paradeuniform, als Beweis dafür, dass man bei Sprecher e Schuh do Brasil einen Job hatte! Ich liess mir das bei einem Sonntagsbesuch im Stadtteil Santo Amaro zeigen. Diese Begebenheit passte nicht zu den in der Schweiz gehörten Theorien von der Ausbeutung der Menschen in Entwicklungsländern. Eine andere Besonderheit der Firma blieb mir in Erinnerung: Zur Verabschiedung eines Besuchers aus der Schweiz begab sich ein Grossteil der Belegschaft zum Flughafen. Sich in der Firma zu Hause fühlen – hat das nicht auch mit Heimat zu tun? Wie können wir den Mitarbeitenden ein Stück Arbeitsheimat geben? Wollen sie nicht einfach gute Arbeit zu fairen Bedingungen erbringen für einen Chef und für eine Firma, zu denen sie eine Beziehung haben? Einstehen können für eine gemeinsame Idee und nicht blind schuften für einen unnahbaren Boss? Brauchen sie nicht hie und da ein anerkennendes Wort und vor allem Freude an ihrer Arbeit? Vielleicht stagnieren wir immer noch zu häufig in hierarchischen Unternehmensstrukturen, die längst nicht mehr in früherem Ausmasse notwendig wären. Ursprünglich war doch einmal die Führungsspanne durch die Rufweite im Schlachtenlärm gegeben. Wären sich im Tagesgeschäft weitgehend selbst führende Unternehmen eine Lösung? Nur noch das anordnen, was Mitarbeiter nicht selbst sinnvoll untereinander regeln oder tun können. Mitarbeiter sehen ja oft rascher und besser, was gut wäre für‘s Unternehmen. Nach einer gewissen Anlaufzeit würde die kollegiale Frage „Wie kann ich dir helfen?“ die bisher übliche Anordnung von oben weitgehend ersetzen. Und die Mitarbeitenden würden sich zutrauen, auch im Kleinen eigene Gedanken für alle nutzbringend umzusetzen. Das sei zu hoch gegriffen, nostalgisch? Zusammen mit meinem Freund Kurt Huber hatte ich es als Berater in einer sehr komplex strukturierten KMU eingeführt. Dort wurde es von der beunruhigten obersten Geschäftsleitung abgebrochen. Die überzeugt und engagiert Mitarbeitenden erbrachten zu gute Geschäftsresultate…

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Erinnerungen

Erinneungen und Text von Werner Lerch Senior 1928-2017

Mein letztes Fussballspiel – Stuttgart Februar 1969

  

Erinnerungen von Werner Lerch Sen. (1928-2017).

Es kam auf eine eigenartige Weise zu diesem Fussballspiel. Ich hatte die Firma in einem Vorort von Stuttgart in einer tiefen Krise übernommen. Von 300 der 800 Mitarbeiter mussten wir uns trennen. Kein Wunder, dass grosses Misstrauen herrschte. Gespräche mit den Mitarbeitern waren kaum mehr möglich.

 

 

Mein letztes Fussballspiel – Stuttgart Februar 1969

  

Erinnerungen von Werner Lerch Sen. (1928-2017).

Es kam auf eine eigenartige Weise zu diesem Fussballspiel. Ich hatte die Firma in einem Vorort von Stuttgart in einer tiefen Krise übernommen. Von 300 der 800 Mitarbeiter mussten wir uns trennen. Kein Wunder, dass grosses Misstrauen herrschte. Gespräche mit den Mitarbeitern waren kaum mehr möglich.

 

 

Werner Lerch Sen. im 11. Stock des Sprecherhofs in Aarau

Werner Lerch Senior als Mitglied der Generaldirektion im Sprecherhof in Aarau. Irgendwann Ende 1960er anfnag 1970er Jahre.

Seine Verantwortung war der Vertrieb und die Werke in Belgien, Kanada und Brasilien. Geleitet wurde Sprecher und Schuh damals von Dr. Adrian W. Roth.